Natja Brunckhorst inszeniert mit »Zwei zu eins« eine Kapitalismussatire, die so nur das Leben schreiben kann. Angeblich ist sie sogar wahr. Und Sandra Hüller darf endlich auch mal wieder eine lustige Rolle spielen.

Zwei zu eins

Nur Bares ist Wahres

zwei zu eins

Erwischt …Markowski (Peter Kurth), Robert (Max Riemelt), Dini (Lotte Shirin Keiling), Maren (Sandra Hüller), Jannek (Anselm Haderer), Käthe (Ursula Werner) © X Verleih AG / Peter Hartwig

Sommer 1990: Seit einem halben Jahr ist die Mauer zwischen der DDR und der BRD offen. Die Menschen können sich ohne Visum zwischen Ost und West bewegen. Handelsvertreter aus Westdeutschland können in Ostdeutschland alles verkaufen, was ihnen in den Sinn kommt. Und umgekehrt genauso! Ein paar Details vorausgesetzt … Kurzer Schwenk ins Geschichtsbuch: Seit April 1990 wurden auf Beschluss der DDR-Staatsbank sämtliche DDR-Banknoten in der Untertageanlage Halberstadt, dem Komplexlager der Nationalen Volksarmee, eingelagert. Der Gesamtwert der Banknoten lag bei ca. 109 Milliarden DDR-Mark, sie wogen etwa 3000 Tonnen. Nun sollten sie hinter meterdickem Beton verrotten. Am 1. Juli 1990 wurden zur Währungsunion Löhne und Gehälter, Renten und Mieten zum Kurs 1:1 umgestellt, ebenso Sparguthaben bis maximal 6000 DDR-Mark. Beträge darüber konnten im Verhältnis 2:1 getauscht werden. Am 6. Juli lief die Umtauschfrist offiziell ab, eine Verlängerung bis 13. Juli galt für außerhalb der DDR lebende Bürger und Bürgerinnen, und in begründeten Ausnahmefällen konnte die Frist bis 30. November gestreckt werden. Am 3. Oktober 1990 wurde die Wiedervereinigung von BRD und DDR offiziell verkündet.

In der Hitze der ersten Julitage 1990 fragen sich Maren (herrlich leichtfüßig: Sandra Hüller), ihr Mann Robert (hin- und hergerissen zwischen alter und neuer Welt: Max Riemelt) und ihr Freund Volker, der in den Westen rübergemacht hat und jetzt wieder da ist (ach, dieses Welpenlächeln: Ronald Zehrfeld): Was um alles in der Welt mögen die nachts an ihrer Terrasse vorbeifahrenden Lastwagenkolonnen wohl transportieren, und warum immer in Richtung Komplexlager? Markowski (undurchschaubar sympathisch: Peter Kurth), einst Arbeiter im Komplexlager 12, kennt die Anlage wie seine Hosentasche. Der vereinsamte Eigenbrötler hält sich zunächst bedeckt, aber weil er wohl große ehnsucht nach Gesellschaft und ebenso viel Abenteuerlust in sich trägt, hilft er dem Trio, in den 300 Meter langen und acht Meter hohen Stollen einzubrechen (gedreht wurde nicht im heute komplett leer geräumten Originalstollen, sondern im Komplexlager 22 in Rothenstein bei Jena). Wie Maren sagt: Wir haben ein Recht zu sehen, was der Staat vor uns versteckt! Und Markowski nimmt es hin, dass sie sich keineswegs als Diebe, sondern vielmehr als »Revoluzzer« verstehen, wenn auch nicht ganz klar wird, wofür oder wogegen. Nahe am Slapstick tauchen sie unter den Kontrollposten durch und erreichen schließlich das Eisentor, hinter dem die Transporter ihre Ware abladen – und trauen ihren Augen kaum: haufenweise Geldbündel, in Säcken und lose, Berge von Papier, Geldhaufen bis unter die Decke wie in Dagobert Ducks Schatzkammer.

Unter der Ägide von Maren, Robert und Volker schleppt die Hausgemeinschaft, unterstützt von Freunden und weiteren Nachbarn, unentdeckt bei Nacht und Nebel das Geld aus dem Stollen. Die Zeit drängt: Bis 6. Juli muss getauscht werden, was geht! Sie lernen schnell, wie sich das scheinbar unnütze Geld aktivieren lässt. In einem ausgeklügelten System kaufen sie den Handelsvertretern aus dem Westen, die wie die Heuschrecken einfallen, an den Wohnungstüren zum Wechselkurs 6:1 massenhaft Topfsets, Mikrowellen, Kristallglas und sonstige Waren ab. Diese Waren verkaufen sie wiederum hinter der ehemaligen Grenze billig, aber gegen D-Mark, an die Westkundschaft zurück. Sie schlagen den Kapitalismus mit seinen eigenen kapitalistischen Regeln und haben ihre helle Freude damit, bis die Frage aufkommt: Wem gehört eigentlich das Geld? Und was machen wir damit? Maren sagt: Wir haben das Geld. Und das Geld gehört dem Volk. Einzahlen, tauschen, teilen! Das macht die Sache jedoch nicht einfacher, auch wenn die Oma zum Kassenwart aufsteigt. Natürlich werden sie entdeckt. Auf die Frage »Was macht Ihr da?« gibt es nur eine vernünftige Antwort: »Das ist schwer zu erklären.«

Natja Brunckhorst erklärt auch nicht viel, und streckenweise ist es nicht so einfach, den Überblick in dieser grandios absurden Schildbürgerei zu behalten, aber in dem liebevoll ausgestatteten, schnoddrig-frechen Arrangement aus Stars und künftigen Stars (wie Lotte Shirin Keiling als Marens Tochter Dini) beim Grillen fühlt man sich doch schnell zu Hause. Die Lakonie liegt wie ein großes Lächeln über dieser Geschichte, aus Individuen eine Gemeinschaft zu bilden, die zusammen stärker ist als die Summe ihrer Einzelteile.

Als 200er- und 500er-Scheine im bundesrepublikanischen Geldverkehr auftauchen, werden die Banker bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau in Frankfurt nervös – diese Scheine waren nie im Umlauf, sondern wurden in der DDR einst nur dafür gedruckt, um die BRD zum richtigen Zeitpunkt zu kaufen (der nie kam). Damit ist klar, dass das Geld gestohlen wurde. Um einen Skandal zu verhindern, schaltet sich Außenminister HansDietrich Genscher persönlich ein. Vor den versammelten NichtDieben sagt er den schönen Satz: Wer eine Kuh übers Eis führen will, muss es schnell tun. Vom Inselstaat zur Insel ist der Weg dann relativ kurz: Melancholie, bei 30 Grad … bis es ihnen zu langweilig wird. Und der Riesenteddy platzt. Die nächste Generation hat bereits alles im Griff! ||

ZWEI ZU EINS
Deutschland 2024 | Buch & Regie: Natja Brunckhorst | Mit: Sandra Hüller, Max Riemelt, Ronald Zehrfeld, Ursula Werner, Peter Kurth, Martin Brambach u. a. | 116 Minuten | Kinostart: 25. Juli | Website

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